Das Pädagogische Konzept

Michael Greiwe, Geschäftsführer Pädagogische Dienste, Rheine

„Als die Idee zum Kinderkochfestival im Jahr 2000 entstand, Bernard Thies, Theo Wilmink und ich über Möglichkeiten nachdachten, wie wir unsere verschiedenen Kompetenzen effektiv verbinden können, war uns von Beginn an klar, dass wir nicht in der Schulklasse stehen werden, um mit Stift und Papier kognitiv Wissen zu vermitteln. Dieses erste Gefühl resultierte aus unserer festen Überzeugung, dass Ernährung, Kochen, Essen, gemeinsame Stunden am gedeckten Tisch, mehr sind, als ein gelerntes Wissen umzusetzen. Ebenso ist und war es mein Anliegen, im Zuge der pädagogischen Entwicklung des „Konzeptes Kinderkochfestival“ den Kindern mehr anzubieten, als eine „Zahnarztpädagogik“, die den Verzicht in den Vordergrund stellt, mehr als Ernährungsmittelpyramiden, die erklärt werden, mehr als sportliche Programme, die absolviert werden… Mit unseren Veranstaltungen möchten wir Kinder nicht drängen, anmahnen und hinweisen, sondern ihnen gemeinsame Erlebnisse bieten, ihnen die Welt des Kochens, Experimentierens und Probierens eröffnen. Wir möchten Kinder für das Kochen begeistern, an neuen Geschmackserlebnissen teilhaben lassen, ihre Neugier und Experi- mentierfreude unterstützen und somit ihren Alltag nachhaltig bereichern. Wir sprechen die Kinder weniger über ihre kognitiven Fähigkeiten an, sondern beziehen sie in unsere Aktionen ein. Über Erlebnisse und eigenes aktives Tun werden ihre Sinne angesprochen und sensi- bilisiert. Sie entdecken eigene positive Ressourcen, die Freude am Kochen und an den Geschmackserlebnissen. Die Voraussetzung für ein intrinsisches Lernen bieten wir Ihnen durch die Vielfalt der Lebensmittel, einen Freiraum für ihre kindliche Kreativität und das gemeinsame Erlebnis mit einer erwachsenen Bezugsperson – dem Koch. Das Kind entwickelt, sensibilisiert und baut Sinne aus, indem es experimentiert, Reize empfindet und das Erlebte mit der Unterstützung eines Erwachsenen reflektiert. Aus der Summe der Erlebnisse gewinnt das Kind positive Sinneserfahrungen, die zur Weiterentwicklung der ganzheitlichen Persönlichkeits- förderung beitragen. Über unsere Haltung vermitteln wir Kindern keine Verbote oder Verteufelungen bestimmter Lebensmittel oder Restaurants, sondern motivieren sie zu einer vielfältigen und abwechslungsreichen Ernährung - zum Probieren. Wir stellen nicht in Abrede, dass Cola, Snickers und Mc Donalds EIN Bedürfnis von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sind, seitens der Firmen punktuell erkannt wurden und ihre Daseinsberechtigung haben. Wir motivieren jedoch, durch Schmecken, Probieren und Kochen den eigenen Horizont zu erweitern und aus dem Lebensbereich Essen und Trinken mehr persönliche Erfolgs- erlebnisse und eine Bereicherung des persönlichen Alltags zu gewinnen. Zur förderlichen Geschmacksschulung und Weiterentwicklung der Sinne gehört es - insbesondere in den frühen Lebensjahren - mit möglichst vielfältigen Lebensmitteln in Kontakt zu kommen und abwechslungsreiche Geschmacksrichtungen zu erleben. Dazu können auch Fastfood- und Fertigprodukte gehören – bei einer Ernährung, die nahezu ausschließlich aus diesen Produkten besteht, findet jedoch keine Entwicklung, sondern eine Stagnation statt. Ich prangere nicht an, wie sich unsere Ernährung und Esskultur verändert hat, dass wir uns zunehmend im Sitzen fortbewegen und beim Gehen essen; sondern ich möchte zur Erweiterung und Erhaltung der Koch- und Esskultur beitragen. Kindern wünsche ich, dass sie möglichst viel probieren, ihre Sinne so weit entwickeln, dass sie diesen dann auch vertrauen (können). Wenn Sie z. B. ein Kind, einen Jugendlichen oder auch einen Erwachsenen fragen, ob die Milch noch gut ist, geht die Person zum Kühlschrank und antwortet „ist noch bis zum 17.01. haltbar.“ An dieser Stelle vertrauen wir eher dem Aufdruck auf der Verpackung, als unserer eigenen Wahrnehmungen, wir riechen oder probieren nicht, entscheiden und orientieren uns ausschließlich am Aufdruck auf der Packung nicht an unseren Wahrnehmungen, das Vertrauen in eigene Sinne ist gering. Ebenso wünsche ich Kindern, dass sie Lebensmittel als ein ganz besonderes Gut schätzen, Vielfältigkeit und Qualität entdecken und somit gut auf sich achtgeben. Die Aufgabe, eine Gemüsesorte, eine Frucht oder ein anderes Lebensmittel unverfälscht und in tatsächlichem Charakter kennenzulernen, stellt im Lebensalltag eine hohe Herausforderung dar: Gehen Sie z. B. in einen Supermarkt und suchen sie nach Zitronensaft. Überwiegend stellen Sie fest, dass es sich nicht um natürlichen Zitronensaft, sondern um ein aromatisiertes oder vollständig künstliches Produkt handelt. Wenn Sie jedoch eine Abteilung weitergehen und sich nach Spül- und Putzmitteln umsehen, so werden Sie viele Produkte finden, die damit beworben werden, reinen, natürlichen Zitronensaft zu enthalten. Die Wertig- keit unserer Ernährung wird im Kontext zur Verwendung unserer Lebensmittel auf den Kopf gestellt. Demnach verfolgen wir auch nicht ausschließlich das Ziel, die Gesundheit von Kindern zu fördern und deren Gewicht zu reduzieren. Die Ziele unserer Initiative sind darauf abgestimmt, Kinder ganzheitlich zu fördern. Neben d. o. g. gesundheitlichen Förderung möchten wir Kindern den Zugang zu einer sinnvollen und schmackhaften Ernährung ermöglichen, ihre Geschmackssinne schulen und entwickeln, für den Wert der menschlichen Ernährung sensibilisieren, ihre Grundhaltung zu einer frischen, regionalen und gesunden Ernährung stärken. Die Esskultur in- und außerhalb der Familie wird dabei zunehmend unterstützt, bzw. erhalten, so dass sowohl die kulturellen Werte als auch die sozialen, familiären Kontakte, z. B. durch gemeinsame Mahlzeiten, bereichert werden. Ich persönlich schätze an der Arbeit im Verein ganz besonders, dass sich die Ganzheitlichkeit erfreulicherweise auch intern niederschlägt: So wirken Personen verschiedenster Berufsgruppen mit, es ergibt sich ein reger, multiprofessioneller Austausch, den ich sehr genieße und von dem ich auch persönlich profitiere. Ein Austausch, der auch manchmal in einem sehr langen Glas Wein endet, aber wie gesagt… die Vielfältigkeit…

„Viele Menschen haben das Essen verlernt – sie können nur noch schlucken.“ Paul Bocuse